Die Zulassungen für Biozidprodukte innerhalb der EU (hauptsächlich Desinfektionsmittel, Hauptgruppe 1) und die damit einhergehende Umstellung von nationalen auf europäische Vorschriften ist eines der Kernthemen der Mitgliedsunternehmen des Industrieverband Hygiene und Oberflächenschutz (IHO). Im Zuge des einheitlichen Wirtschaftraums der EU können Zulassungen von Biozidprodukten in jedem Land der Europäischen Union harmonisiert erwirkt werden. Dies ist nicht nur vorteilhaft für die Wirtschaftlichkeit, sondern auch für die Etablierung einheitlicher Sicherheitsstandard und die Minimierung anwendungsbezogener Risiken von Biozidprodukten in Europa, mit Vorbildfunktion für die ganze Welt.

23.09.2019

Biozidprodukteverordnung (BPV)

Bereits seit dem 1. September 2013 gilt die Verordnung (EU) Nr. 528/2012 über die Bereitstellung und Verwendung von Biozidprodukten (BPV). Sie ist eines der komplexesten Regelwerke der EU und unterscheidet 22 verschiedene Produkttypen (PT), die in fünf Hauptgruppen zusammengefasst sind.
Gemeinsam ist allen Biozidprodukten, dass sie dazu bestimmt sind, gegen Schadorganismen zu wirken. Als Desinfektionsmittel oder Schädlingsbekämpfungsmittel schützen sie vor Erregern gefährlicher Krankheiten bzw. ihren Überträgern. Außerdem werden sie z.B. als Konservierungsmittel zum Schutz leicht verderblicher Materialien und Gemische eingesetzt.

In einem 2-stufigen Zulassungsverfahren wird sichergestellt, dass die Herstellung und Verwendung von bioziden Wirkstoffen und Produkten keine schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen oder Tieren und keine unannehmbaren Auswirkungen auf die Umwelt hat. Eine Zulassung erfolgt nur, wenn ein Biozidprodukt wirksam ist. Die im Zulassungsdossier beschriebene Wirksamkeit ist vornehmlich basierend auf Europäischen Normen getestet. Bei der Dosierung eines Biozidproduktes gilt der Maßstab “so wenig wie möglich, aber so viel wie nötig” – sprich: keine Überdosierung, um eine unnötige Belastung von Umwelt und Anwender zu vermeiden, aber so viel wie nötig einsetzen, um ein sicheres Abtöten von schädlichen Mikroorganismen und die Einhaltung von Hygienestandards zu gewährleisten.

 

Produkttypen der Hauptgruppe 1 der BPV:

  • PT 1 – Menschliche Hygiene
  • PT 2 – Desinfektionsmittel und Algenbekämpfungsmittel, die nicht für eine direkte Anwendung bei Menschen und Tieren bestimmt sind
  • PT 3 – Hygiene im Veterinärbereich
  • PT 4 – Lebensmittel- und Futtermittelbereich
  • PT5 – Trinkwasserdesinfektion für Mensch und Tier

 

Die Wirkstoffe und Produkte dieser 5 Produkttypen leisten einen wichtigen Beitrag zum Gesundheitsschutz, indem sie die Verbreitung von Infektionen durch gesundheitsschädliche Mikroorganismen verhindern.

 

Pestizide/Biozide/Pflanzenschutzmittel

Die Begriffe Pestizide, Biozide und Pflanzenschutzmittel werden häufig synonym und damit leider missverständlich genutzt.

Pestizide fassen Stoffe und Stoffkombinationen zusammen, die gegen Schadorganismen in der Landwirtschaft und im Gartenbau eingesetzt werden. Mit der Richtlinie 2009/128 EG über einen Aktionsrahmen der Gemeinschaft für die nachhaltige Verwendung von Pestiziden ist ein Rechtsraum geschaffen worden, der gemeinsam für Pflanzenschutzmittel und Biozide gelten sollte. Ziel ist es, Maßnahmen zu treffen, die insbesondere für nicht berufliche Verwender gelten sollen, um diese vor unsachgemäßer Verwendung zu schützen. Bisher gilt diese Richtlinie nur für Pflanzenschutzmittel. Biozide werden in dieser Richtlinie nicht erfasst.

Pflanzenschutzmittel sind im Sinne der Verordnung (EG) Nr.1107/2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln reguliert. Biozidprodukte sind in der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 über die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten (BPV) reguliert. Hervorzuheben ist, dass die BPV keine spezifische Produktart für die direkte Lebensmittelbehandlung definiert. Daher gibt es keine legale Möglichkeit der direkten chemischen Desinfektion von Lebensmitteln (mit Ausnahme der Trinkwasseraufbereitung), sondern ausschließlich für die Desinfektion von Lebensmittelkontaktflächen.

 

Biozide zur Hygiene in Herstellungsbetrieben, Gesundheitswesen und Industrie

Gute Hygiene ist kein Produkt, sondern ein Prozess. Die Desinfektion von Händen, Oberflächen, Gerätschaften sowie futter- und wasserführenden Systemen ist von zentraler Bedeutung zur Erreichung hoher mikrobiologischer Sicherheitsstandards und stellt damit einen zentralen Stützpfeiler, insbesondere im Bereich der Produktionssicherheit, dar.

Wichtige Faktoren für eine gute Hygiene sind eine fachgerechte Abschätzung der möglichen Risiken, eine umfängliche Planung der erforderlichen Maßnahmen sowie die sachgemäße Anwendung von Bioziden, Desinfektionsmitteln und Anwendungslösungen.

 

Beispielsweise wird in der deutschen und europäischen Lebensmittelhygiene-Verordnung dem präventiven Managementsystem HACCP (Hazard Analysis and Critical Control Point) zur Gewährleistung der Lebensmittelsicherheit ein wichtiger Platz eingeräumt. Das System gilt international als effektivster Weg, um sichere Lebensmittel zu produzieren.

In diesem Kontext ist die Einführung von Kontrollpunkten, u. a. Hygienekontrollpunkte (HCPs) als Maßnahme in der Produktionshygiene unerlässlich. Die sachgemäße Anwendung chemischer Desinfektionsmittel und -verfahren gewährleistet ein höchstmögliches Maß an Sicherheit.

 

Praxisbeispiele aus den Anwendungsbereichen:

  • Gesundheitswesen

Der Einsatz von Händedesinfektionsmitteln hat sich in den letzten Jahrzehnten als wichtigste Maßnahme im Gesundheitswesen zur Vermeidung der Übertragung von Infektionskrankheiten erwiesen. Ebenso wichtig bei der Prävention nosokomialer Infektionen ist die Desinfektion patientennaher Oberflächen und von Flächen in isolierten Bereichen, um Patienten vor der Übertragung von Krankheitserregern wirksam zu schützen. Beim Arbeits- und Gesundheitsschutz für die Mitarbeiter im Kranken- oder Pflegebereich handelt es sich um bewährte risikoarme und beherrschbare Anwendungen. Die hierfür eingesetzten Produkte unterliegen als Biozidprodukte den jeweils aktuellen Produkt- und Chemikaliengesetzgebungen.

 

  • Lebensmittelerzeugung und -verarbeitung:

Der Trend zu bereits verarbeiteten, komfortablen Lebensmitteln reißt nicht ab. Daher kommt dem Bereich Lebensmittelerzeugung und -verarbeitung eine immer größer werdende Bedeutung zu. Um eine ausreichende Hygiene in z. B. Fleischereibetrieben sicherzustellen, müssen diverse Faktoren und vielschichtige Prozesse berücksichtigt werden. Neben dem Umgang mit den verarbeiteten Lebensmitteln selbst, liegt der Fokus hierbei auf der persönlichen Hygiene der Mitarbeiter sowie der Ausstattung der Räumlichkeiten, etwa Wand- und Bodenbeschaffenheit oder Materialien von Arbeitsflächen und -geräten. Um die eigenen Kernaufgaben optimal wahrnehmen zu können, wünschen sich viele Betriebe vor allem auch einen beratenden Service von IHO-Mitgliedsfirmen. Die richtigen Dosierungen und Einwirkzeiten von Hände- und Flächendesinfektionsmitteln sind hierbei elementar für die Lebensmittelsicherheit.

 

  • Wäscherei

Alle Textilien aus diversen Bereichen, wie Krankenhäusern, der Lebensmittelindustrie und Küchen haben gemeinsam, dass sie frei sein müssen von jedweder mikrobiellen Kontamination, die eine Ausbreitung von Infektionen verursachen bzw. die Qualität und Sicherheit von Produkten beeinträchtigen könnte. Die Bandbreite der Waschgüter aus Krankenhäusern oder Alten- und Pflegeheimen reicht von leicht verschmutzten Waren wie Bekleidung und Bettwäsche bis hin zu schwer verschmutzten Textilien. Mikrobielle Kontaminationen können durch den Einsatz von bioziden Waschmitteln effektiv entfernt werden.

 

  • Großküche

Herausforderungen in Großküchen sind die hohe Arbeitsgeschwindigkeit und das geringe Platzangebot. Am Beispiel des maschinellen Geschirrspülens ist leicht vorstellbar, wie gut Arbeitsprozesse, verwendete Maschinen und strukturelle Gegebenheiten (z. B. Mehrfachnutzung von Geschirr) aufeinander abgestimmt sein müssen. Gerade in Krankenhäusern, Pflegeheimen aber auch Kindergärten müssen Geschirr und die zubereiteten Gerichte hygienisch einwandfrei sein, um die Übertragung von Krankheiten zu unterbinden.

 

  • Gebäudereinigung

Bei der alltäglichen Reinigung von gemeinschaftlich genutzten Gebäuden, wie Schulen, Kindergärten oder Sportstätten, ist neben der Reduzierung von Verunreinigungen ebenso die Reduzierung von Mikroorganismen wichtig. Eine regelmäßige und hygienische Reinigung zur Vorbeugung und zum Schutz vor übertragbaren Krankheiten ist dabei eine unerlässliche Maßnahme. Besonders in Ausbruchssituationen sind auch hier effiziente und zugelassene Biozidprodukte gesetzlich vorgeschrieben.

 


Antibiotikaresistenzen
Es existieren keine wissenschaftlichen Belege, dass Biozide im Zusammenhang mit einem Anstieg von Antibiotika-Resistenzen stehen. Eine der Bedingung für die Erteilung der Zulassung für ein Biozidprodukt nach den Vorgaben der Biozidprodukte-Verordnung (EU) Nr. 528/2012 (Art. 19, Anhänge II und III) ist die Erbringung eines Nachweises, dass keine unannehmbaren Resistenzen oder Kreuzresistenzen bei Zielorganismen nach dem Einsatz des bioziden Produktes auftreten.

Vor dem Hintergrund der Zunahme lebensbedrohlicher Antibiotika-Resistenzen und der Ausbreitung gefährlicher Viren haben Biozide eine zunehmend wichtigere Rolle. Desinfektionsmittel verhindern die Übertragung und Verbreitung von multiresistenten Erregern, insbesondere auch im Falle von Zoonosen und nosokomialen Erkrankungen. Auch der Verbund angewandte Hygiene (VAH) betont die grundlegende Bedeutung von Desinfektionsmitteln. Sie leisten einen wichtigen Beitrag für die Umsetzung des von der Bundesregierung unterstützten globalen Aktionsplans gemäß des „One Health“.
Der „One Health“-Ansatz integriert inter- und transdisziplinäre Zusammenarbeit aus menschlicher Gesundheit, tierischer Gesundheit, Umweltaspekten, Lebensmittel- und Ernährungssicherheit und Landwirtschaft.

 

 

Anwendungsempfehlung und Nachhaltigkeit

Der Industrieverband Hygiene und Oberflächenschutz und seine Mitglieder arbeiten seit über 25 Jahren daran, Sicherheit im Umgang mit den Desinfektionsmitteln und Reinigern in den Fokus zu rücken bzw. Ablauf- und Arbeitsprozesse stetig zu verbessern. In allen qualitätssichernden Maßnahmen, Zertifizierungen und Managementsystemen genießen die Reinigungs- und Desinfektionsmaßnahmen einen hohen Stellenwert. Die richtige Anwendung der Produkte trägt dazu bei, Sicherheit und Nachhaltigkeit in der Verwendung herzustellen. Bei einer nachhaltigen Verwendung in Produktionsprozessen haben Biozidprodukte einen großen wirtschaftlichen, ökologischen und gesellschaftlichen Nutzen. Durch den Einsatz von angemessenen Mengen von Desinfektions- oder Konservierungsmitteln wird die Nutzbarkeit und der Werterhalt von Produkten erhöht. Hygiene ein Prozess ist, in dem spezifische Expertise gefragt ist, um optimale Entscheidungen für die Verwendung von Biozidprodukten im industriellen und professionellen Umfeld zu treffen.

 

Der IHO ist der deutsche Branchenverband der Reinigungs- und Desinfektionsmittelhersteller für den Großverbrauch in Deutschland. Zu den Geschäftsfeldern der 54 Mitgliedsunternehmen gehören die Bereiche Gesundheitswesen, Großküchenhygiene, Gebäudereinigung, Lebensmittelindustrie, Großwäschereien und auch Metallindustrie. Die Branche der professionellen Reinigungsindustrie setzt in Deutschland über 1 Milliarde Euro um und beschäftigt national mehr als 7.000 Mitarbeiter. Die zumeist kleinen und mittelständischen Unternehmen weisen eine überdurchschnittliche Forschungs- und Innovationsquote auf.

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