EU-Studie lässt Negativeffekte der Chemie-Gesetzgebung auf Verfügbarkeit von Spezialprodukten befürchten
Frankfurt/M. – Trotz der zahlreichen Vorteile die eine einheitliche europäische Gesetzgebung mit sich bringt, bedroht sie die derzeitige Produktpalette von Reinigungs-, Wasch- und Desinfektionsmitteln. Wie eine Studie der Europäischen Kommission belegt, gefährden insbesondere die durch die Biozidprodukte-Verordnung entstehenden Kosten die Reinigungsindustrie. Und das hat Konsequenzen für alle Beteiligten, von Rohstoffhersteller bis Anwender.
Fatale Folgen für die Branche
Registrierungs- und Zulassungsgebühren für Reinigungs- und Desinfektionsmittel sowie deren Wirkstoffe ziehen hinsichtlich der Verfügbarkeit von Produkten enorme Auswirkungen nach sich. „Es droht eine Eindampfung der Produktpalette. Aufgrund eines zu befürchtenden starken Wegfalls von Spezialprodukten, muss angenommen werden, dass bald nicht mehr auf individuelle Anforderungen der Kundenbetriebe reagiert werden kann“, so Alfred Stöhr, Vorstandsvorsitzender des Industrieverbands Hygiene und Oberflächenschutz (IHO), im Rahmen eines Pressegesprächs in Frankfurt. Insbesondere hinsichtlich der Herstellung oder Entwicklung von Produkten für seltene und sehr spezifische Anwendungen sind die derzeitigen Gesetzesfolgekosten für Hersteller weder tragbar noch sinnvoll. IHO-Geschäftsführer Dr. Heiko Faubel führte diesbezüglich aus: „Die aktuelle Situation um die Biozidprodukte-Verordnung könnte schlimmstenfalls dafür sorgen, dass diese Produkte einfach vom Markt verschwinden, was fatale Folgen für die Branche hätte.“
Es wird, so befürchtet die Industrie, ein Prozess angestoßen, an dessen Ende es nur noch Verlierer gibt: sehr spezielle aber durchaus wichtige Wirkstoffe drohen aus dem Angebot zu verschwinden, kleinere Hersteller geben bestimmte Geschäftsbereiche Gesundheitswesen auf und der Wettbewerb konzentriert sich zunehmend auf wenige und wirkstoffgleiche Produkte. Innovation und Sicherstellung beziehungsweise weitere Verbesserung des hohen Hygienestandards in Deutschland finden auf diese Weise nicht mehr statt.
Wo liegen die Probleme?
In den Bereichen Gesundheitswesen, Lebensmittelindustrie, Gastronomie, Gebäudedienstleistungen, Wäschereiindustrie, Metallindustrie sind Reinigungs-, Wasch- und Desinfektionsmittel wichtige Faktoren der Arbeitsprozesse. Doch die Kosten aus Rechtsvorgaben werden derzeit vorwiegend nur den Herstellern dieser Produkte aufgebürdet. Insbesondere kleine und mittelständische Produzenten von Reinigungs-, Desinfektions- und Waschmitteln stellen die hohen Folgekosten vor große Probleme. Für bestehende und neue Desinfektionsmittel müssen im Rahmen der europäischen Gesetzgebung extrem aufwändige Dossiers erstellt werden, die einen Aufwand von 200.000 bis zu 500.000 Euro je Wirkstoff bedeuten. Zusätzlich muss jedes einzelne Produkt in jedem Verkaufsland mit zusätzlichen Gebühren angemeldet werden. „Je kleiner das Unternehmen beziehungsweise je spezieller das Produkt, umso dramatischer die Auswirkung. Diese Firmen können angesichts dieser Ausmaße kaum innovativ bleiben oder Spezialprodukte im Portfolio behalten“, beschreibt Alfred Stöhr die Situation.
Gefahr für den Menschen
Es gibt also Wirkstoffe, die angesichts dieser Sachlage zwangsweise aus dem Fokus fallen werden. Das Dilemma dabei: Die Hersteller der Reinigungs-, Wasch- und Desinfektionsmittel sind stets darum bemüht für ihre Kunden anwendungsspezifische, spezialisierte und individualisierte Lösungen zu entwickeln. Betrieben die genau darauf angewiesen sind, drohen nun jedoch Preiserhöhungen und ein Wegfall wichtiger Spezialprodukte.
Im Vordergrund der EU-Chemikaliengesetzgebung stehen mit dem Schutz der Anwender und der Umwelt zwei Aspekte gleichermaßen. Doch bei Reinigungs- und Desinfektionsmitteln muss eine mögliche Umweltbelastung gegenüber dem Schutz des Menschen zurückgestellt werden. Durch mangelnde Hygiene aufgrund fehlender Desinfektionsmittel entsteht eben eine solche Gefahr für den Menschen. Daher ist hier eine klare Differenzierung zu anderen Produkten mit Biozidwirkstoffen, etwa Düngemitteln oder Mitteln zur Schädlingsbekämpfung, notwendig. „Niemandem kann daran gelegen sein, dass weitere Wirkstoffe und Produkte vom Markt verschwinden. Betrieben müssen angemessene Lösungen für spezifische Problemfälle zur Verfügung stehen“, so Dr. Heiko Faubel.